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Monatsschrift der Deutschen Kakteen-Gesellschaft, 1932, pages 1 - 6

Das Vorkommen von Kugelkakteen in Colombia (Kolumbien)
Von E. Werdermann.
(Mit 4 Abbildungen.)

Von der Kakteenflora der südamerikanischen Republik Colombia haben wir bis in die letzten Jahre recht wenig zu erfahren bekommen. Abgesehen von epiphytischen Kakteen, z. B. Rhipsalis-Arten, die eigentlich nirgends in tropischen oder subtropischen Waldgebieten Südamerikas fehlen, konnte man die Zahl der etwa zu K. Schumanns Zeiten im Beginn unseres Jahrhunderts mit Sicherheit aus Colombia bekannten Arten an einer Hand abzählen. Es handelt sich dabei um Vertreter der Gattungen Opuntia, Cereus und Melocactus. Salm-Dyck beschrieb 1849 eine Mammillaria columbiana, die noch von Förster-Rümpler als gute Art in ihr Handbuch der Kakteenkunde S. 299 aufgenommen, jedoch von späteren Monographen wie K. Schumann und Britton und Rose wohl hauptsächlich aus geographischen Bedenken nicht mehr anerkannt wurde. Ihr ablehnendes Verhalten erscheint verständlich, wenn man bedenkt, wie wenig zuverlässig noch im vergangenen Jahrhundert die Angaben über Heimat und Standort lebend in Europa eingeführter Pflanzen, besonders Kakteen, waren. Außerdem nahm man noch vor zehn Jahren an, daß das Verbreitungsgebiet der Gattung Mammillaria vom Zentrum in Mexiko nach Süden nur durch eine Art, Mammillaria simplex, an die Nordküste des südamerikanischen Kontinents reichte.


Echinocactus colombianas Werd., blühend in natürl. Größe

Nun wissen wir, daß botanische Sammler, welche ihre wissenschaftliche Ausbeute in herbarmäßig getrocknetem Material niederlegen, im allgemeinen sukkulenten Pflanzen, besonders aber den stacheligen Kakteen gern aus dem Wege gehen. Sehr vielen großen Sammlungen fehlen Vertreter solcher Familien oft fast vollkommen, deren Präparation sehr zeitraubend ist oder die, als ausreichendes Material für wissenschaftliche Untersuchungen mitgenommen, allzuviel Platz des sorgsam abgewogenen Reisegepäcks einnehmen. Vor diesem Zwiespalt hat wohl schon jeder Forschungsreisende gestanden und sich oft schweren Herzens bescheiden müssen, denn Transportfragen sind auch stets mit Fragen an die zur Verfügung stehende Reisekasse geknüpft.
Aus der Tatsache, daß die Vertreter dieser schwierig zu behandelnden Familien in wissenschaftlichen Herbarsammlungen meist nicht vorhanden sind, auf ihr Fehlen in der Flora des bereisten Gebietes zu schließen, kann also leicht zu Fehlschlüssen führen.
Nach den Nachrichten, die wir in den letzten Jahren aus Colombia erhielten, dürften auch dort die Kakteen eine gewichtigere Rolle in der Zusammensetzung der Flora des Landes spielen, als wir bisher anzunehmen geneigt waren. Schon die Forschungsreisen von Dr. Rose, die er während des Weltkrieges zum Spezialstudium der Kakteen vor dem Erscheinen seines mit Britton zusammen herausgegebenen Monumentalwerkes über die Familie unternahm, brachte einige Neuentdeckungen aus Colombia. Er scheint aber nur die Küstengebiete bereist zu haben, denn die Zahl der vorher von dort bekannten Gattungen erweiterte sich nicht. Auch Backebergs Nachforschungen haben uns um einige neue Cereen bereichert (zwei epiphytische Arten vom Rio Magdalena harren noch der Bestimmung).
Aber die gesuchten Kugelkakteen aus Colombia, von denen Friè im Echinocactus colombianus Werd. Eine polsterförmig wachsende Pflanze in nattirl. Größe Anzeigenteil der Monatsschrift einmal sprach, konnten anscheinend ihren Weg nach Europa nicht finden.


Echinocactus colombianus Werd. Eine polsterförmig wachsende Pflanze in nattirl. Größe

"Anscheinend" muß ich schreiben, denn als der Streit um diese Frage an unsere Ohren klang, — blühten im Botanischen Garten Dahlem schon die ersten Echinokakteen aus Colombia. Im Jahre 1930 hatte Frau E. Dryander, die für das Botanische Museum Herbarpflanzen bei ihrem Aufenthalt in Colombia sammelte, mir auch ein Kistchen mit Kugelkakteen geschickt, dessen Inhalt ich, offen gestanden, mit äußerstem Mißtrauen betrachtete. Es handelte sich um eine Anzahl vollkommen gesunder Pflanzen von einer Art. Und zwar einer Art aus der Untergattung Frailea (Br. et R. als Gattung), die mich außerordentlich an Echinocactus pumilus Lem. und seine Verwandten erinnerte. Das Verbreitungsgebiet dieser schon im Habitus ausgezeichnet erkennbaren und abgegrenzten, acht Arten umfassenden Untergattung ist aber auf Paraguay und einige angrenzende Teile von Argentinien und Uruguay beschränkt. Es wird verständlich erscheinen, daß meine letzten Zweifel an der Herkunft der neuen Art aus Colombia erst durch schriftliche Rückfragen und mündliche Bestätigung unter genauer Fundortsangabe durch Frau Dryander nach ihrer Rückkehr im August 1931 beseitigt sein mußten, ehe ich sie im Notizblatt des Botanischen Gartens und Museums Bd. X (1931), S. 271 als Echinocactus colombianus beschrieb.
Ein Zufall wollte es, daß ich Herrn Bödeker gerade den neuen Kugelkaktus aus Colombia bei seinem Besuch in Dahlem im vergangenen Herbst gezeigt hatte, als Herr Gartendirektor Vorwerk in Begleitung einiger Herrschaften erschien, die durch verwandtschaftliche Beziehungen auch Kugelkakteen direkt aus Colombia geschickt bekommen hatten. Herr Vorwerk hatte den wissenschaftlichen Wert dieser Sendung erkannt. Der glückliche Besitzer der Seltenheiten, Herr Obering. Haentzschel, war sofort bereit, die Pflanzen dem Garten zu überlassen, als wir ihn von ihrer Wichtigkeit für unsere Sammlungen überzeugt hatten. Es waren zwei Mammillarien, die wir zuerst in die Nähe der M. nivosa stellen zu müssen glaubten, und zwei Echinokakteen (Malacocarpus) aus der allerengsten Verwandtschaft des Ects. Sellowii (tephracantus). Beide Arten sind jetzt (Werdermann in Backeberg, „Neue Kakteen“) und zwar als M. bogotensis Werd. und Ects. Vorwerkianus Werd. beschrieben.
Erst vor wenigen Tagen erfuhr ich, daß auch Herr Hennis jun. auf einer längeren Orchideensammelreise diese Kakteen gefunden und vor einigen Wochen lebend mit nach Europa gebracht hat. Herr Hennis jun. ist wohl der eigentliche Entdecker der beiden Arten. Wenn mir die Tatsache vorher bekannt gewesen wäre, hätte ich gern die neue Mammillaria ihm zu Ehren benannt. Die Beschreibung war aber bereits gedruckt und konnte nicht mehr geändert werden. Da aber derselbe Sammler auch eine neue Mammillaria aus Venezuela mitgebracht hat, konnte Herr Bödeker das unbeabsichtigt Verabsäumte nachholen.
Mammillaria bogotensis Werd., nach Angaben von Herrn Hennis ca. 2700 m ü. M. in der südlichen Ostkordillere (Rio-Meta-Gebirge) vorkommend, ist die am weitesten nach Süden vorgeschobene Art der Gattung, welche ihr Hauptverbreitungsgebiet in Mexiko besitzt. Durch ihr Bekanntwerden sind die stark bezweifelten Angaben Salm-Dycks und FörsterRümplers über M. columbiana S.-D. in ein ganz anderes Licht gerückt. Vielleicht wird die Art, welche nach der Beschreibung mit M. bogotensis Werd. nahe verwandt ist, später einmal wiederentdeckt. Bisher war als einzige Mammillaria vom Festland Südamerikas nur M. simplex Haw. aus Venezuela bekannt. Jetzt kennen wir außer den beiden eben erwähnten noch eine weitere, die M. Hennisii Boed., die ebenfalls aus Südamerika (Venezuela) stammt.
Interessanter aber noch als diese Funde ist die fast gleichzeitige Entdeckung von zwei Arten der Gattung Echinocactus aus Colombia durch zwei verschiedene Sammler. Die Gattung Echinocactus im Sinne K. Schumanns und A. Bergers — durch Britton und Rose in zahlreiche Gattungen aufgespalten, die wir in der Mehrzahl nur als allerdings oft gut abgegrenzte Untergattungen ansehen — ist verbreitet von den Vereinigten Staaten von Nordamerika bis nach Patagonien. Von Mexiko ab bis Nordperu klaffte aber eine große Lücke in ihrem Vorkommen.
Die beiden neuen Arten schließen sich aufs engste den südamerikanischen Verwandtschaftskreisen an, deren Hauptverbreitung in den La Plata-Staaten zu finden ist. Echinocactus Vorwerkianus Werd. gehört zu Malacocarpus (Br. et R. als Gattung), Ects. colombianus zu Frailea (Br. et R. als Gattung).
Die Untergattung Malacocarpus reicht mit Ects. islayensis am weitesten nach Norden (Peru, Mollendo) bis etwa zum 17.° südlicher Breite. Weiter nördlich sind nur noch Ects. myriacanthus Vpl. (Dep. Amazonas bei Chachapoyas ca. 6° südlicher Breite ca. 2200 m ü. M.) und Ects. aurantiacus Vpl. (Dep. Cajamarca, bei San Pablo, ca. 7° südlicher Breite) anzutreffen. Beide letzterwähnten Arten haben keinerlei nähere verwandtschaftliche Beziehungen zu Ects. Vorwerkianus Werd., vielmehr ist dieser so eng an den Formenkreis des variablen Ects. Sellowii angeschlossen, daß die Unterschiede zwischen beiden Arten nur schwer zu fassen sind, zumal der Vorwerkianus auch gelb blüht, wie ich vor wenigen Tagen festgestellt habe. Der Ects. Sellowii und die ihm nächstverwandten Arten sind ausschließlich in Xerophytisch-Südamerika verbreitet, Ects. Vorwerkianus dagegen in einiger Entfernung der Hauptstadt Bogota in Colombia gefunden worden.
Die gut abgegrenzte Untergattung Frailea hat ein noch viel kleineres Verbreitungsgebiet als Malacocarpus und ist ebenfalls auf Xerophytisch-Südamerika beschränkt. Echinocactus colombianus Werd. wurde aber auf den Westhängen der colombianischen Anden bei Dagua an der Strecke Buenaventura—Cali gefunden!
In beiden Fällen ist das Vorkommen dieser Arten so weit entfernt vom Hauptareal ihrer allernächsten Verwandtschaft außerordentlich bemerkenswert.
Es wäre möglich, daß von Südbrasilien eine Brücke über Matto-Grosso und die ebenfalls noch ungenügend erforschten östlichen Andenhänge nach Colombia geht; oder aber es hat eine Zerreißung eines ursprünglich kontinuierlichen Areals stattgefunden, welches von der Küste Argentiniens, etwa von der Mündung des La Plata, bis nach Colombia reichte.
Abgesehen von Rhipsalis-Arten und Op. tunicata mit ihren besonderen Verbreitungsmöglichkeiten, ist mir ein ähnlicher Fall bei den Kakteen nicht bekannt.
Professor Herzog, ein vorzüglicher Kenner der bolivianischen Flora, weist in der „Pflanzenwelt der bolivianischen Anden und ihres östlichen Vorlandes“, Leipzig 1923, S. 170ff., auf die auffallende Tatsache hin, daß in der interandinen Xerophytenflora Boliviens vielfach mexikanische Pflanzentypen auftreten. Und zwar nicht nur zahlreiche Gattungen, sondern auch Arten finden sich in beiden Gebieten gemeinsam, ohne daß sie in den weiträumigen Zwischenzonen anzutreffen wären. Er schließt aus dieser Tatsache auf die Zerspaltung eines ursprünglich einheitlichen Xerophytengebietes, das von Argentinien-Bolivien bis nach Mexiko reichte, durch Klimaänderungen im Zwischengebiet und das dadurch bedingte Vordringen anderer Florenelemente. Der Erfolg wäre die Auflösung eines früher einheitlichen Florengebietes in zwei weit getrennte Hälften gewesen.
Für Kakteen haben sich diese Verknüpfungen zwischen Mexiko und Bolivien-Argentinien noch nicht nachweisen lassen.
Aber die verwandtschaftlich außerordentlich engen Beziehungen der beiden in Colombia neu entdeckten Echinokakteen zu ausschließlich xerophytisch-südamerikanischen Formenkreisen, deren Haupt-Areal so weit von ihren Fundorten entfernt ist, legt die Vermutung nahe, daß es sich um Relikte handelt, die sich nach Zerreißung eines größeren kontinuierlichen Areals noch isoliert halten konnten.
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