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Internoto 31:4, Pages 99 - 107
Am Fundort von N. rauschii Vliet & N. spinibarbis F. Ritter
Elisa Viana Salengue In der letzten Oktoberwoche 2009 war ich auf Fotosafari mit Norbert und Walter im Grenzbereich Brasiliens zu Uruguay. In dieser Woche haben wir einige Tage lang unser Quartier in Livramento aufgeschlagen. Von diesem Ort aus waren wir in 40 bis 60 Minuten mit dem Auto an den meisten Plätzen von Interesse. Den schönsten Platz im brasilianischen Frühling fanden wir nur 12 bis 15 km nördlich der Stadt Livramento. Wie in RITTERs Beschreibung für N. spinibarbis F. Ritter angegeben wächst diese Art hier - aber es wachsen hier noch weitere drei attraktive Notokakteen. Das sind N. mammulosus (Lem.) A. Berger ex Backeb., N.orthacanthus (Link & Otto) Vliet, N. rauschii Vliet, die neben N. spinibarbis F. Ritter zu finden sind. In dieser Gegend wurden vor 30 Jahren auch die ersten Pflanzen von Frailea perumbilicata F. Ritter gefunden. Über die beiden erstgenannten Pflanzen aus der UG Neonotocactus wird Norbert noch in der Zeitschrift INTERNOTO berichten. Ich war ganz begeistert von den beiden anderen kleinwüchsigen Arten. Ich kannte beide Arten aus einem Besuch der Gegend mit Daniel SARAIVA drei Jahre zuvor am Polizeiberg und am Batuva-See. Wir hatten ihnen darüber im Jahre 2007 in INTERNOTO berichtet. Damals haben wir nur ein Dutzend Pflanzen von N. rauschii und von N. spinibarbis sogar nur drei Exemplare gesehen. Bei der Nachbearbeitung unserer Bilder sind wir auf interessante Dinge gestoßen. Wir kamen um halb vier Uhr an den Platz am Kilometer 498 der BR 293. Unser Fahrer Walter konnte nun nach einer anstrengenden Fahrt ein Mittagsschläfchen halten, während Norbert mit mir im Gelände war. Als wir die Zone des hohen Grases und der Büsche durchdrungen hatten, sahen wir N. orthacanthus in voller Blüte mit zirka 30 großen Exemplaren. Es war ein angenehm warmer Nachmittag im Frühling. Norbert war schon häufig an diesem Platz gewesen. Das zeigt die Liste seiner Notierungen von dieser Stelle. Die Tabelle zeigt aber auch, dass er die kugeligen Arten erst später entdeckt hat. Wolfgang GEMMRICH hatte ihm hierzu einen Hinweis gegeben. ![]() Frailea perumbilicata Gf 2281
Norbert machte nur einige wenige Bilder von den großen Vertretern der Untergattung Neonotocactus und wanderte recht zügig zu den Steinen auf den tiefer gelegenen Terrassen, auf denen er N. rauschii möglichst in Blüte sehen wollte. Im Rincão da Bolsa - das ist zirka 8 km entfernt - war diese Art drei Tage zuvor schon verblüht gewesen. Ich war im oberen Bereich des Fundortes sehr zufrieden, denn so viele Insekten auf einmal in den Blüten hatte ich selten zuvor gesehen. Ich habe in dieser ersten halben Stunde unseres Aufenthaltes viele kleine Videos und Makro-Fotos aufgenommen. Ich konnte damit eine Vielzahl von bestäubenden und Blüten fressenden Insekten dokumentieren. Nach einer Dreiviertelstunde kam der Landbesitzer herangefahren und ich unterhielt mich eine Weile mit ihm. Er wollte nur nach dem Rechten sehen und war schnell beruhigt, als er sah, dass wir harmlose Naturfreunde waren. Nun ging ich zu Norbert, der ein wenig müde und traurig auf einem Stein der unteren Steinplatten saß. Die Steine sind geschichtet, die Schichtung ist hier ungewöhnlich ausgerichtet nämlich vertikal nach unten. Norbert meinte enttäuscht: „Es sind kaum noch Pflanzen vorhanden!" Zu zweit liefen wir die Steine ab und zählten maximal 20 blühfähige Pflanzen und einige Gruppen von Sämlingen. Alle N. rauschii saßen einzeln auf dem fast nackten Stein. Es schien mir unbegreiflich, wie sie dort in der Vollsonne keimen konnten. Zwei Individuen im Scheitel eines großen Steines hatten bis 7 mm lange rotbraune Dornen. Im Schatten der Zentralkörper fanden wir 10 bis 15 bis 2 cm breite Sämlinge. Das müssen ja die Nachkommen dieser Pflanze sein. Sie waren in den meisten Fällen schmutzig weiß wie N. rauschii. Ich fragte Norbert, ob diese braune Pflanze nun N. spinibarbis wäre, den er mir im Auto angekündigt hatte. Er verneinte es und zeigte auf ein Dornengestrüpp von 1 Meter Durchmesser am Rande der Steinplatte: „Darin findest du den N. spinibarbis wie er beschrieben wurde". Bis vor drei Jahren kannten wir von N. spinibarbis nur das Dia aus der INTERNOTO-Diathek als gesichertes Dokument, das N. spinibarbis mit N. rauschii vergleicht. Das Bild wird hier wiedergegeben und mit einer eigenen Aufnahme verglichen, die ich hier am Kilometer 348 gemacht habe. Auf RITTERs Bild sind die Früchte unterschiedlich verlängert. Da wir nicht wissen, ob die beiden Pflanzen gleichzeitig oder nacheinander geblüht haben, ist das von wenig Aussagewert. Norbert hat mir die Texte der Erstbeschreibungen besorgt, die ich Ihnen auf Seite 104 tabellarisch wiedergebe. N. spinibarbis F. Ritter Körper: kugelig, ca. 5 cm bis 7 cm breit, grasgrün, zuweilen etwas sprossend, Rippen 23 bis 29,3 mm bis 8 mm hoch, Kerben um % tief eingeschnitten mit runden Buckeln, dazwischen, runde Areolen mit langem weißen Filz, spät kahl werdend 2,0 mm bis 2,5 mm Durchmesser, in den Kerben 3 mm bis 4 mm freie Entfernung, alle Dornen nadeiförmig, mehr oder weniger gerade, 18 bis 30 Randdornen, blassgelb, seitwärts gerichtet 4 mm bis 10 mm lang, meist 4 Mitteldornen (auch 2, 3 oder 5 Md) graubraun, wesentlich stärker, 8 mm bis 20 mm lang, nicht im Kreuz stehend einer in der Mitte schräg abstehend, einer nach unten, zwei zu den Seiten nach unten gerichtet. Blüten scheitelnah, geruchlos, 3 cm lang trichterförmig ausgebreitet bis 5 cm breit. Fruchtknoten grün, in dichte weiße Watte gehüllt kugelig, ca. 5 mm Durchmesser, Schuppen fast linienschmal, vertrocknend, rotbraun, 1 mm bis 2 mm lang. Nektarrinne 0,5 mm bis 1 mm hoch mit Nektar, orange, halb geschlossen durch die unteren Staubblätter, Röhre darüber trichterförmig, zirka 9 mm lang und ebenso weit, innen blass orange, außen wie Fruchtknoten, Schuppen etwas größer, grün mit rotbraunen Enden, Wolle weiß, nach oben bräunlich, wattig dicht, dazu oben weiche braune anliegende Borsten. Staubfäden krokusgelb (Sättigung 4), 7 mm bis 10 mm lang, die oberen sind die längeren, Beutel gleichfarbig, bis 3 mm unter den Saum inseriert, Griffel blassgelb 18 mm lang, wovon 2 mm auf die 8 intensiv violettroten (Farbe 11) Narbenlappen kommen Kronblätter zitronengelb, 15 mm lang und 5 mm breit, oben gerundet mit Spitzchen, spateiförmig die äußersten kürzer und mit rotbraunen Enden Frucht ca. 10 mm lang und 7 mm dick, grün mit braun, Fleisch wenig saftig. Samen ähnlich dem Typ Neonotocactus, 1,2 mm lang und breit, 1 mm dick, am Hilum nicht verbreitert und am Testarand nicht nach außen gebogen Testa schwarz, matt, sehr feine Höcker. Hilumrand in der Mitte flach, wenig vertieft. Mycropyle wenig deutlich. Typusort: 12 bis 15 km nördlich Livramento. N. rauschii van Vliet Körper: einfach, kugelförmig bis länglich, bis 16 cm Durchmesser und über 20 cm hoch, (solche Maße niemals in der Natur angetroffen) Scheitel: leicht eingesenkt und von Dornen überragt, mit weißer Wolle Epidermis blaugrün. Rippen: 20 bis 28 bestehend aus 8 mm langen und 5 mm hohen Höckern, dazwischen die Areolen 2 mm bis 5 mm freie Entfernung und bis 3 mm Durchmesser, rund, filzig, später kahl. Dornen: nadeiförmig und stechend, 12 bis 15 Randdornen: diese 3 mm bis 8 mm lang und sternförmig abstehend, weiß blassgelb und hellrosa bis hellbraun Mitteldornen: 1 bis 4, bis 20 mm lang die jüngsten schwarz mit rosa Fuß später nach unten gerichtet, verblassend oft kaum von den Randdornen zu unterscheiden, alle Dornen von gelb zu braun variierend. Blüte: trichterförmig, bis 3,5 cm lang und 5 cm breit, um den Scheitel stehend außen mit dichter weißer und hellbrauner Wolle bedeckt, äußere Blütenblätter zitronengelb mit purpurnem Mittelstreifen innere glänzend zitronengelb Staubblätter über die ganze Länge der Röhre inseriert, reizbar, hell orangegelb Staubbeutel: hellgelb; Stempel hellgelb Narbe: 10 bis 14 purpurrote Narbenäste. Frucht: länglich, dünnwandig, grün mit weißer Wolle, wächst bei der Reife aus, trocknet dann ein und springt vertikal auf, mit 75 Samen Samen: helmförmig, schwarz, mit Höckerchen, Hilum schmutzigweiß eingesunken und abgeplattet, etwas gewellt. Vorkommen: auf dunklen Sand Steinplatten. Typstandort: (ergänzt N. Gerloff) westlich von Livramento und Rivera - immer sonnig stehend auf horizontalen Steinplatten. Der Vergleich der Beschreibungstexte von RITTER und van VLIET bringt keine absolute Klarheit, ob es sich um eigenständige Arten handelt. Da in beiden Texten jeweils bestimmte Merkmalsbereiche fehlen, kann man sie schlecht vergleichen. RITTER hat N. rauschii Vliet nicht gut gekannt, denn sonst hätte er eine Differentialdiagnose in seinem Werk erarbeitet. Nach der Definition von Friedrich RITTER kann die eine Pflanze auch keine Varietät der anderen Art sein, denn nach seinem Verständnis sind Varietäten regional verbreitet. Hier und auch am Polizeiberg und im Rincäo da Bolsa wachsen die beiden zusammen. Für N. spinibarbis galt, dass wir um zwei oder drei Tage zu spät hier am Fundort waren. Die meisten Blüten waren schon verblüht oder deren Blütenblätter abgefressen. An einer sich gerade öffnenden Blüte sah ich schwarze Käfer, die sich über die schmackhaften Blütenteile hermachten. Wir hatten die Erstbeschreibungstexte nicht dabei. Nun ging es in unserem Gespräch darum, ob wir zwei Arten vor uns haben oder ob der N. spinibarbis nur eine Form von N. rauschii ist. Im Abstand von einem halben Jahr nach unserem Besuch hilft uns das Bild einer Pflanzengruppe weiter, die in einem dornigen Gestrüpp steht. Ich bedanke mich bei Csaba KADAR für die Überlassung einer Aufnahme aus dem Jahr 2008. Ich konnte diese Gruppe von fünf Pflanzen fast genau ein Jahr später aus dem gleichen Winkel aufnehmen. Die erste Erkenntnis ist, dass N. rauschii Vliet und N. spinibarbis F. Ritter nebeneinander, das heißt Körper an Körper vorkommen können. Sie können zweitens sehen, dass besonders die weiße Pflanze im Zentrum deutlich in die Länge gewachsen ist. Wenn man die Bilder vergrößert und auswertet, kann man feststellen, dass alle Pflanzen auf jeder Rippe 5 oder 6 neue Areolen ausgebildet haben. Die rechte Pflanze vom Typus spinibarbis ist 16 cm hoch und 12 cm breit. Wir haben keine größere Pflanzen gesehen. Die noch größere Pflanze vom Polizeiberg (INTERNOTO 2007) lebt leider nicht mehr. Ein Gedanke ist mir nachträglich durch den Kopf gegangen: Die N. rauschii var. rauschii sitzen an diesem Platz fast immer der Vollsonne ausgesetzt. Sie bekommen die ersten Hitzeperioden früher mit und blühen recht zeitig im Jahr. Im Jahr 2009 war das Anfang bis Mitte Oktober. Alle bisher von mir gefundenen oder gesehenen N. spinibarbis hatten einen mehr schattigen Platz und haben schätzungsweise um zwei Wochen später geblüht. Das könnte erklären, warum wir keine Pflanzen gesehen haben, die nach ihren Merkmalen dazwischen standen. Zum Schluss danke ich Csaba KADAR für die Überlassung einer Aufnahme aus dem Vorjahr, sowie Alan BUTLER für die Übersetzung der Zusammenfassung und besonders Freund Norbert für Diskussion und Material. elisa.salengue@yahoo.com.br Summary The author, Elisa SALENGUE, went with Norbert GERLOFF in October 2009 to the type locality of N. spinibarbis F. Ritter north of Livramento. This species grows there together with N. mammulosus (Lem.) A. Berger ex Backeb., N. orthacanthus (Link & Otto) Vliet, and Frailea perumbilicata. Although only few specimens were found, the author was able to compare the plants of N. spinibarbis F. Ritter with the sparse documentation and with N. rauschii Vliet. Comparing the descriptions made by F. RITTER and D. van VLIET does not clarify the matter as in both texts important characteristics were missed. The author photographs many insects on the flowers, some pollinators, others flower eaters. By comparing an old picture by Csaba KADAR with the latest pictures by the author, we can see how quickly the plants have grown in 12 months. As you can see intermediate plants between the two species, N. spinibarbis F. Ritter should only be considered as a form of the earlier taxon N. rauschii Vliet. Translation by Alan Butler Literatur Salengue & Saraiva: Ein Ausflug zu den Pflanzen des Polizeibergs Livramento, Internoto 28 (4) 75- 85 Ritter, Friedrich (1979): Kakteen in Südamerika, Band 1, Spangenberg. |