Kaktusblüte, April 2003
Eine kleine Reise durch Rio Grande do Sul, den südlichsten Bundesstaat Brasiliens
ANDREAS HOFACKER
Rio Grande do Sul, der südlichste Bundesstaat Brasiliens, wird von seinen Bewohnern auch als Land der Gauchos, der südamerikanischen Cowboys bezeichnet. Man stellt sich hierunter weite, hügelige Graslandschaften mit nur spärlichem Bewuchs vor, die so genannte Pampa. Diese Vorstellung ist allerdings nur für den Süden des Bundesstaates zutreffend. Der Mittel- und der Nordteil sind üppig mit tropischer und subtropischer Vegetation bewachsen. Besonders interessant für den Sukkulentenliebhaber ist jedoch die Pampa. Hier sind die bei Kakteenliebhabern besonders beliebten Notokakteen, oder wie sie unter modernen taxonomischen Gesichtspunkten heißen, Parodien beheimatet. Südbrasilien und Uruguay sind hierbei das Hauptverbreitungsgebiet dieser Pflanzen. Gleiches gilt für die Gattung Frailea Britton & Rose. Diese Gattung kleinbleibender Kugelkakteen kommt in großem Formenreichtum in beiden Ländern vor. Daneben finden sich noch einige Arten der Gattungen Gymnocalycium Pfeiffer ex Mittler, Opuntia Miller, Cereus Miller und Pereskia Miller. In den feuchteren Gebieten mit höherem Bewuchs finden sich noch einige Vertreter epiphytischer Kakteengattungen wie Rhipsalis Gaertner, Lepismium Pfeiffer und Hatiora Britton & Rose. Im folgendem sollen einige typische Standorte vorgestellt werden.
Im Nordosten von Rio Grande do Sul an der Grenze zum Bundesstaat Santa Catarina befindet sich der Nationalpark der Aparados da Serra. Diese spektakuläre Hochebene erhebt sich steil von Meereshöhe auf 1 000 - 1 200 m. Von den früher fast flächendeckenden Araucarienwäldern sind heute nur noch Rudimente vorhanden. Die Primärvegatation ist weitgehend abgelöst von ausgedehnten Weideflächen. Die flachen aus diesen Weideflächen herausragenden Felsformationen sind die Heimat der Brasiliparodien, heute ebenfalls den Parodien zugerechnet. Sie wachsen in flachen Felsmulden, in denen sich etwas Humus angesammelt hat. Häufig findet man Pflanzen auch in Moospolstern, ein Hinweis darauf, dass es relativ feucht sein muss. In der Tat ist die Niederschlagsmenge hoch, wobei sich ein Grossteil der Feuchtigkeit in Form von Nebel niederschlägt. Dies deutet auf relativ große Temperaturschwankungen hin. Aufgrund der Höhenlage ist es nachts relativ kühl. Im Winter fällt häufig Schnee, Nachtfröste sind fast die Regel. Tagsüber steigen die Temperaturen meist wieder auf über 20°C an. Die Sonne wärmt die meist dunklen Felsen auf und sorgt so für einen warmen Fuß. Die Pflanzen erhalten so nie Frost an den Wurzeln.
Ganz anders hingegen die Fundorte der Eriokakteen. Die Arten dieser Formengruppe (Parodia magnifica (F. Ritter) Brandt, warasii (F. Ritter) Brandt, claviceps (F. Ritter) Brandt und leninghausii (K. Schumann) Brandt) wachsen stets an mehr oder weniger zugänglichen steilen Felsen entlang von Flussläufen im nördlichen Zentral Rio Grande do Sul. Die umgebende üppige subtropische Vegetation hat die Kakteen gezwungen sich auf die Stellen zurückzuziehen, die von anderen Pflanzen nicht besiedelt werden können. Der imposanteste Fundort ist sicherlich der der Parodia leninghausii (auch bekannt als Notocactus oder Eriocactus leninghausii). Lange Jahre war nur ein einziger Fundort nahe der Gemeinde Arroio da Seca bekannt. Die Pflanzen wachsen hier auf einem ca. 150 m breiten, ca. 50 m hohen, steil abfallenden Felsen. Nur von oben ist der Zugang zu den Pflanzen möglich. Es ist erforderlich, sich mit einem Seil ein Stück den Felsen herabzulassen. Die Pflanzen erreichen hier eine Länge von ca. 150 cm. Vor einigen Jahren wurde noch ein weiterer, etwas kleinerer Standort dieser Art entdeckt. Der von Friedrich Ritter beschriebene Eriocactus leninghausii var. minor wächst ca. 45 km von Arroio da Seca entfernt nahe der Stadt Montenegro. Auch hier haben sich die Pflanzen an steilen unzugänglichen Stellen angesiedelt. Wie der Name es schon zum Ausdruck bringt, bleiben die Pflanzen dieses Fundortes kleiner und wachsen auch in Kultur deutlich langsamer.
Eindrucksvoll ist auch ein Fundort der Parodia warasii. Der Original-Fundort wurde lange Zeit geheim gehalten, bevor vor ca. 10 Jahren durch Zufall ein weiterer (?) Fundort entdeckt wurde. Auch dieser befindet sich entlang eines Flusslaufes (Rio Pardo) inmitten üppiger Vegetation. Um zu dem Fundort zu gelangen, muss man durch einen Fluss waten, was nur bei relativ niedrigem Wasserstand möglich ist. Parodia warasii wächst hier zu Tausenden zusammen mit einer Dyckia (Ananasgewächs), und Lepismium cruciforme (Vellozo) Miquel, einem epiphytischen Kaktus. Die größten
Pflanzen sind orgelpfeifenförmig gebogen und ca. 2 m lang. An einigen Stellen hängen sie nur noch von dem kräftigen Hauptwurzelstrang gehalten, frei schwebend in der Luft.
Im südlichen Teil von Rio Grande do Sul beginnt die Pampa. Dies ist auch das Hauptverbreitungsgebiet der brasilianischen Parodien (Notokakteen). Einige Arten wie Parodia mammulosa (Lemaire) N P. Taylor (Notocactus mammulosus (Lemaire) Backeberg) oder Parodia scopa (Sprengel) N. P. Taylor (Notocactus scopa (Sprengel) Backeberg) findet man weit verbreitet über große Entfernungen. Andere Arten hingegen finden sich nur in einem sehr kleinen Verbreitungsgebiet. Ein Zentrum des Vorkommens vieler Arten ist die Gegend um Minas de Camaqua. Die besser als Notocactus uebelmanianus Buining bekannte Parodia werneri Hofacker stammt ebenso aus dieser Gegend, wie Parodia scopa ssp. neobuenekeri (F. Ritter) Hofacker & Braun (Notocactus neobuenekeri F. Ritter). Typisch für die Gegend sind die zahlreichen Tafelberge. Auf einem dieser Tafelberge befindet sich der Typstandort der Wigginsia horstii var. juvenaliformis F. Ritter, eine Gattung, welche heute ebenfalls der Gattung Parodia zugerechnet wird. Diese Varietät soll sich durch die kaum vorhandenen Mitteldornen vom Typus unterscheiden. Bei einem Besuch konnte geklärt werden, dass langdornige Pflanzen neben Pflanzen ohne Mitteldornen wachsen. Wigginsia horstii var. juvenaliformis ist so nur eine Auslese ohne jeden taxonomischen Wert. Am Rande des Tafelberges findet sich noch nahezu unzugänglich Parodia rudibuenekeri ssp. glomerata (Gerloff) Hofacker (Notocactus glomeratus Gerloff), eine seltene Unterart der Parodia rudibuenekeri (Abraham) Hofacker & Braun, welche sich durch silbrige Dornen und die starke Sprossung vom Typus unterscheidet. Die fast im ganzen Süden von Rio Grande do Sul in einem unendlichen Formenreichtum vorkommende Parodia ottonis (Lehmann) N. P. Taylor (Notocactus ottonis (Lehmann) Backeberg ist hier ebenso noch zu finden wie Parodia werneri und Echinopsis oxygona (Link) Zuccarini ex Pfeiffer & Otto.
Gelegentlich findet sich in der Nähe auch noch Frailea phaeodisca (Spegazzini) Spegazzini inmitten der Wiesen. Ohne Blüten sind die Pflanzen kaum zu entdecken. Die Gattung Frailea hat in Rio Grande do Sul ein Zentrum ihres Vorkommens. Die säulenförmigen Arten wie Frailea gracillima (Lemaire) Britton & Rose werden maximal 15 cm lang und erreichen einen Durchmesser von nur 3-4 cm, die kugelförmigen Arten wie Frailea pumila (Lemaire) Britton & Rose werden nur 3-5 cm hoch und 6-7 cm breit. Fraileen eignen sich so sehr gut für eine Sammlung mit beschränktem Platzangebot. Hinzu kommt, dass zumindest die brasilianischen Fraileen kleistogam sind. Das heißt, sie setzten Samen an, ohne dass sich die Blüten öffnen. Diese Samen müssen allerdings relativ schnell augesäht werden, da sie schon nach wenigen Monaten ihre Keimkraft verlieren. Nachteilig wirkt sich aus, dass Fraileen in der Regel nicht sehr alt werden und so ständig nachgezogen werden sollten. Allerdings sind sie auch recht raschwüchsig, so dass schon nach 2-3 Jahren mit einem Samenansatz gerechnet werden kann.
Als interessant hat sich auch die Gegend um die Stadt São Francisco de Assis im Zentrum des Staates erwiesen. Hier kommen einige Kakteen-Arten vor, welche sonst nirgends zu finden sind. Aus der
Gattung Gymnocalycium hat Gymnocalycium horstii ssp. buenekeri (Swales) Hofacker & Braun (Gymnocalycium buenekeri Swales) hier sein Verbreitungsgebiet. Lange Jahre war dieses rosa blühende Taxon nur von wenigen Stellen bekannt, in den letzten Jahren konnten allerdings einige neue Standorte gefunden werden. Relativ weit verbreitet findet sich in einem großen Formenreichtum Parodia fusca (F. Ritter) Hofacker & Braun (Notocactus fuscus F. Ritter). Diese Art wächst ausschließlich auf oder am Rande von Felsplatten.
Nicht unerwähnt bleiben sollen die orange- und rotblühenden Parodien wie Parodia horsth (F. Ritter) N. P. Taylor (Notocactus horstii F. Ritter) und Parodia herteri (Werdermann) N. P. Taylor (Notocactus herteri (Werdermann) Buining St Kreuzinger).
Rio Grande do Sul ist für jeden Liebhaber südamerikanischer Kugelkakteen eine Reise wert.
Andreas Hofacker
Neuweiler Str. 8/1
71032 Böblingen